Abenteuer

Hinein in die Stille

Südindien. Top-Attraktion im Bundesstaat Kerala sind Touren mit Reisbarken durchs 900 Kilometer lange Wassernetz der Backwaters. Die Ufer säumen Palmen und ein paar Häuser. Außer dem Schnurren des Dieselmotors ist nichts zu hören.

Zack, bumm und aus! Kaum tuckert das Hausboot hinaus in die Kanäle der Backwaters von Alleppi, ist es schlagartig vorbei mit dem nervenden Gehupe des indischen Verkehrschaos. Und auch mit der Hektik, die man noch aus Europa mit im Gepäck hat.Indien Backwaters_1

Jetzt schnurrt nur noch der Dieselmotor der zum Hausboot umfunktionierten Reisbarke sein immer gleiches, leises Lied. Kein Laut mehr außer dem Gezwitscher von ein paar Vögeln. Straßen gibt es nicht im weit verzweigten, 900 Kilometer langen Wassernetz. Palmen und Bananenstauden säumen die Ufer, spiegeln sich im Wasser. Ab und zu ein Haus, ein Minidorf, das am Wasser zu schweben scheint. Dahinter Reis- und Gemüsefelder. Der Postler paddelt seinen Einbaum im Zickzackkurs durch den Kanal und wirft die Zeitungen ans Ufer. Frauen in bunten Saris waschen die Wäsche im Fluss. Männer fischen das Mittagessen für die Familie. Kein Wort dringt bis zum Hausboot. Nur Ruhe, Ruhe, Ruhe.

Selbst wenn eine andere Barke vorbeizieht – und das passiert oft, denn Hunderte kreuzen in den Backwaters – geschieht das fast lautlos. Ein kurzes Winken, kein Hallo. Jeder gibt sich der Stille hin. Man sitzt, schaut, fotografiert, sinniert und genießt – und spielt sehr bald mit dem Gedanken, hier zu bleiben in einem der kleinen Häuschen am Ufer mit Palmen vor der Tür, sich täglich seinen Fisch zu fangen, ein paar Hühner zu halten und ein paar Säcke Reis zu ernten wie die Backwater-People. Das einfache Leben scheint hier plötzlich möglich.

Gutes Boot wichtig. Die zweitägige Kreuzfahrt mit einer traditionellen Reisbarke durch das Kanal-, Fluss- und Seensystem an der Küste des Bundesstaates Kerala ist wie ein Trip durch die Fantasien vom Paradies. Vorausgesetzt man wählt das richtige Boot. Denn inzwischen schippern mehr als tausend durch die Backwaters. Die Qualität ist dabei höchst unterschiedlich. Es gibt plumpe Riesenkähne mit mehr als 20 Kabinen, schäbige Schiffernakel, die bei der leisesten Brise zu kentern drohen. Und statt authentischer Spezialitäten aus Kerala werden oft genug fade Fertigsuppen serviert.

In der angenehmen Variante haben sie ein bis drei Schlafzimmer, Dusche, WC und ein fensterloses Wohnzimmer mit Sofas und großem Tisch – nicht luxuriös, aber zweckmäßig und originell. Die Boote sind aus Holz, die Aufbauten aus geflochtenen Palmwedel-Matten. Die Crew besteht aus Steuermann, Koch und Kellner.

Auf meiner Tour gab es köstliches indisches Essen – so viel, dass sich der Tisch bog. Hendl, Fisch, Reis, Currys, Chutneys (Saucen). Auf Wunsch kauft die Crew auch frische Garnelen oder Krabben bei einem der Fischer unterwegs – das kostet ein paar Euro extra. Zwischendurch werden Snacks serviert, etwa in Reisteig gebackene Bananen, goldgelb und süß, Kaffee, Tee und frisch gepresste Fruchtsäfte.

Kurz vor Sonnenuntergang vertaut die Crew das Hausboot für die Übernachtung in einem Seitenkanal, sichert das offene Wohnzimmer mit Moskitonetzen gegen die in der Dämmerung recht aktiven Blutsauger und macht sich an die Zubereitung des Abendessens. Zeit, den Kanal entlang zu spazieren, die fantastische Abendstimmung mit glutrotem Sonnenuntergang über den Reisfeldern und Kokospalmen zu genießen und das Leben der Einheimischen zu beobachten.

Der Preis für eine Zweibettzimmer-Barke mit Übernachtung und Verpflegung beträgt je nach Saison und Verhandlungsgeschick zwischen 90 und 140 €. Eine Ausgabe, die sich mehr als auszahlt. Die Mini-Kreuzfahrten sind eine der Hauptattraktionen von Südindien.

Einzigartiges Ökosystem. Das riesige Wassernetz, das sich fast die gesamte Küste Keralas entlang und weit ins Landesinnere zieht, ist ein einzigartiges Ökosystem. Süßwasser aus 38 Flüssen mischt sich in Kanälen, Lagunen, Seen und Flussdeltas mit dem Salzwasser des Arabischen Meers und bildet den idealen Lebensraum für unzählige Fischarten, Krabben, Frösche, Garnelen, Wasservögel und Fischadler. Die Natur ist betörend schön. Immer wieder sieht man Kormorane, Fischadler und bunte Eisvögel.

Der schönste Teil der Backwaters mit dem 200 Quadratkilometer großen Vembanadu See liegt zwischen den Städten Kochi und Alleppi. Dort sind auch die meisten Hausboote und Agenturen stationiert.

Bildgalerie Backwaters


Tiger, Gewürze und prachtvolle Mimik-Künstler

„God’s own country“ lautet der Werbespruch der Tourismusorganisation von Kerala. Und das trifft den Kern. Der schmale kommunistische Bundesstaat entlang der Malabar-Küste am Arabischen Meer hat das höchste Bildungsniveau Indiens, die legendären Backwaters, wunderschöne Strände und Millionen Kokospalmen.

Ein weiteres Highlight sind die üppig grünen Kardamomberge östlich der Küste. Dort wachsen Kaffee, Tee und die begehrten Gewürze wie Pfeffer, Kardamom und Chili, die in Europa einst mit Gold aufgewogen wurden.

Für die Portugiesen, Holländer und Briten war die Hafenstadt Kochi jahrhundertelang einer der wichtigsten Gewürz-Handelsplätze der Welt. Ein mächtiges Fort und koloniale Lagerhäuser zeugen noch davon. Vasco da Gama landete etwa 150 Kilometer nördlich der Stadt, als er 1499 den Seeweg nach Indien entdeckte, und wenig später die erste Gewürzladung nach Portugal brachte.Periyar-Nationalpark

Zentrum des Gewürzanbaus ist die landschaftlich wunderschöne Bergregion um die Stadt Thekkady in den Kardamombergen. Der Besuch lohnt sich mehrfach. Einerseits können Gewürzfarmen und Teeplantagen besucht werden, andererseits liegt dort der 777 Quadratkilometer große Periyar-Nationalpark mit riesigem Stausee und Tigerreservat. Bei Boot- und Walking-Safaris sieht man Elefanten, Schwarzbären, Hirsche und Vögel. Die knapp 40 im Dschungeldickicht lebenden Tiger lassen sich allerdings so gut wie nie blicken.Pantomime

Unbedingt besuchen muss man in Thekkady auch die Kathakali-Show. Prachtvoll gekleidete Pantomimenkünstler tanzen und erzählen mit vollendeter Mimik und Gestik Dramen aus dem Indien des 17. Jahrhunderts. Um die 200 Gesichtsausdrücke und 108 Gesten sind bekannt. Ein beeindruckendes Schauspiel.

Kategorie Slow Travel

 

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