Nordkorea

Zaungast in der Unfassbarkeit

Nordkorea ist das befremdlichste, unfassbarste, skurrilste Land der Welt. Man muss es gesehen haben.

 

Denkmal in Pjöngjang

 

In Habtachtstellung stehen sie vor dem Allerheiligsten. Die Frauen im bunten Festgewand. Die Männer in blauer Arbeitsuniform. Demütig den Blick zur 15 Meter hohen Bronzestatue des  Ewigen Führers Kim Il Sung gewandt. Abgerichtete Opferlämmer. Aus Betrieben, Schulen, Dörfern pilgern  ganze Bataillone in die Hauptstadt Pjöngjang zur großen Statue  des Staatsgründers, bringen Blumen, machen ein Gemeinschaftsfoto. Vor der in Bronze erstarrten Gottheit  dürfen sie nicht essen, nicht trinken – nur flüstern und stramm stehen. Auch unsere Gruppe!

Weil ich  Kaugummi kaue, wieselt  die staatliche Bewachungs-Reiseleiterin Kim auf mich zu und weist mich zurecht: „Disziplinieren Sie sich, Herr Karl!“ Den Satz höre ich oft auf meiner  Reise durch die Unfassbarkeit.

Nordkorea ist das aberwitzigste, eigentümlichste, erschreckendste Reiseland der Welt. Ein Wahnwitz aus der Alchimistenkammer der Ideologie. Ein Land, das man für unmöglich hält, bis man es gesehen hat. Es gibt kein Handy, kein Internet, keine Coca-Cola, keine Konsumwerbung, keine Geschäfte (zumindest werden sie uns nicht gezeigt), selten Strom.

Grenzkontrolle. Wir reisen von China ein. 26 Stunden Zugfahrt Peking–Pjöngjang. Koffer werden durchsucht,  Seiten aus Zeitschriften gerissen, vor allem solche mit leichtbekleideten Frauen. Die brauchen die Grenzsoldaten wohl für den Spind. Laptops werden gecheckt, Handys abgenommen.

Ab nun begleiten uns zwei Aufpasser: Reiseleiterin Kim und Reiseleiter Kim. Namen sind leicht zu merken in Nordkorea,  Kim hat eine Trefferquote von 90 Prozent. Kim und Kim weichen uns nicht mehr von der Seite. Sie isolieren uns von der Bevölkerung. Sagen uns, was wir fotografieren dürfen (Protzbauten, Denkmäler, Propagandatafeln) und was nicht (arbeitende Menschen, Straßenszenen, das normale Leben). Willkommen auf der dunklen Seite des Mondes!

Als Erstes sehen wir Pjöngjang – oder  eigentlich nicht. Es ist Nacht bei der Ankunft am Bahnhof und zappenduster. Nur eine Glühbirne markiert den Bahnhofsausgang. In einer Schlange dunkler Gestalten tasten wir uns hinaus. Es ist beklemmend. So müssen unsere Eltern die Verdunkelung bei Bombenangriffen  erlebt haben. Und draußen, vor dem Bahnhof? Auch  zappenduster! Nur Denkmäler und Propagandatafeln der Partei leuchten in kitschig buntem Licht.

Stadt ohne Autos. Der Morgen graut. Erster Blick aus dem  Hotel, das überraschend West-Komfort bietet. Heere von Fußgängern auf überbreiten Straßen, ein paar rostbeulige Busse aus tschechischer Produktion, Menschenschlangen bei den Haltestellen, Militärfahrzeuge, keine Privatautos, keine Mopeds, kaum Fahrräder. Und sonst?

 

Breite Straßen, keine Autos

Breite Straßen, keine Autos

 

Pjöngjang ist die Welthauptstadt des Plattenbaus. Im Korea-Krieg zerbombt,  im  Geist des sozialistischen Monumentalismus neu aufgebaut, jetzt  wieder am Zerbröckeln. Drei Millionen Menschen hausen in teils verschimmelnden Wohntürmen und zwischen  heroischen Bildern des Ewigen Führers und seines amtierenden Sohnes Kim Jong-Il, der sich nur Geliebter  Führer nennen  darf und vom Glanz des propagierten Fortschritts  so geblendet ist, dass er immer Sonnenbrillen trägt.

Nur das kampfbereite Rot der Revolutionsparolen bringt Farbe ins müde Betongrau. Immer  den Finger am Abzug haben, denn die Welt will Korea zerstören –  und – wir schaffen den Fortschritt alleine –  sind die Botschaften auf  Monumentalmosaiken und Wandgemälden. Auf einem stoßen Soldatinnen mit Bajonetten die US-Boys von der koreanischen Halbinsel.

 

Mosaikbilder von glücklichen Bauern in der Metro-Station

 

Metro. Stolz zeigen uns Kim und Kim die Metro. Ein Waggon wird für uns leer geräumt. Kein Kontakt mit der Bevölkerung, lautet ihr Auftrag. Was will man machen. Eine Station dürfen wir mitfahren und das Mosaik mit den Führern   fotografieren. Angeblich gibt es nur drei Stationen. Aber nachfragen ist sinnlos. K & K dürfen nur  erzählen, was die Partei erlaubt. Etwa, dass der Ewige 10.000 Bücher geschrieben hat; und dass dem Geliebten bei seiner  ersten Golfrunde elf „Hole-in-One“ gelungen sind. Donnerwetter!

 

38. Breitengrad: Die sensible Grenze zu Südkorea

 

Pflichtpunkt der Propaganda-Sightseeing-Tour ist der Ausflug zum 38. Breitengrad, zur Grenze mit Südkorea. Sie ist die  sensibelste der Welt, denn es  herrscht  nach wie vor Kriegszustand. Die Fahrt auf der sechsspurigen Autobahn ist gespenstisch.  Kein Privatauto, nur ab und zu ein  Lkw oder Militärfahrzeug. Fußgänger und Radfahrer nützen daher die Fahrbahn.

Es ist Erntezeit. Die Felder sind beflaggt mit roten Fahnen, dazwischen plagen sich Arbeiter mit Sicheln. Traktoren gibt’s nicht. Im Bus zeigt man uns Propagandafilme: Soldaten marschieren mit erhobenem Gewehr durchs Reisfeld und grüßen Bauern im Sonnenaufgang.

 

Feldarbeit zwischen roten Parteifahnen

 

An der Grenze  führen uns Militärs  zackig  durch die demilitarisierte Zone. Stacheldraht. Wachtürme. Ein Bauernhof, der showmäßig bewirtschaftet wird, um den Amis und Südkoreanern auf der anderen Seite zu zeigen, wie furchtlos man ist.

Pflichtprogramm sind auch das  Arirang-Festival, größte und unglaublichste Kollektiv-Show der  Welt (Story links unten), und das Freundschaftsmuseum. 200 Kilometer  nördlich von Pjöngjang haben sich die  Kims zwei Völkerfreundschaftsmuseen von pharaonischem Ausmaß in den Berg sprengen lassen. In  200 unterirdischen Räumen  werden 222.522 Geschenke aus 180 Ländern an den Ewigen und Geliebten  präsentiert.  Stalin steuerte eine sechs Tonnen schwere Panzerkarosse bei,  Mugabe einen Elefantenstoßzahn. Die meisten  Geschenke sind rührend: Taschenmesser, Korkenzieher, Bierkrüge. Jede Betriebsdelegation aus sozialistischen Bruderländern hat was mitgebracht.

Führer in Wachs. Nur ordentlich gekleidet und mit Plastikschonern an den Füßen darf man in dieses Heiligtum des Sammelsuriums.  Am Ende eines 200 Meter langen, mit blankem Granit ausgekleideten Ganges kommt man schließlich ins  wichtigste Zimmer. Auf einer grell ausgeleuchteten, giftgrünen Kunstrasenbühne steht der  Ewige  in Wachs gegossen, größer, als er war, und im westlichen Business-Anzug. Dahinter leuchtet orangerot die Morgensonne über den Myohyang-Bergen, seinem Generalsquartier im Krieg gegen die Japaner.

Wir machen, was alle  hier machen. Verneigen vor Kim! Auch wenn wir am liebsten auf die Kleingeistigkeit dieses Größenwahns einen der geschenkten Bierkrüge heben würden.  Aber darauf steht vermutlich der Strang.

Und hier noch einige Impressionen:


mehr von meinen Nordkorea-Bildern auf picasaweb

 

 

Arirang-Show: Das größte Massenspektakel der Welt

 

Kim Il Sung als Pixelbild

 

Unbedingt anschauen muss man sich in Pjöngjang  eine Arirang-Show im Stadion 1. Mai. Arirang ist das größte Massen-Spektakel der Welt.  100.000 Darsteller wirken  mit. Auf einer Längsseite des Stadions sitzen 25.000 Schüler mit farbigen  quadratischen Farbtafeln. Zusammen  bilden sie  riesige  Bilder, die wie eine Pixelwand aussehen und ständig wechseln: Kampfbomber im Sturzflug, Bergpanoramen im Morgenrot, der  Führer im wogenden Weizenfeld.

 

Pixelbild vom Heiligen Berg

 

Während der 1,5 Stunden dauernden Show werden an die 1000 Bilder gezeigt. Gleichzeitig  laufen am Rasen des Stadions perfekt choreographierte Szenen mit  Tausenden  Darstellern in grellbunten Kostümen ab. Die Masse turnt   in Fünfzehnerreihen wie am Schnürchen,  formt sich zu Blüten, Fahnen schwenkenden Kampftruppen, Parteisymbolen oder zur Landkarte des vereinigten Koreas.

Gezeigt werden Szenen aus der Geschichte Nordkoreas:  von der Unterdrückung durch die Japaner bis zu den „Heldentaten“ der Partei. Was da mit militärischer Perfektion abläuft ist unvorstellbar. Akrobaten fliegen 150 Meter durch die Luft und landen im Netz.  Erst allmählich begreift man: Das ist das Hochamt des Kollektivismus, der Exorzismus des Individualismus.

Lässt man die politische Färbung  beiseite, erlebt man eine Show, bei der einem der Mund offen bleibt. Im Guiness-Buch der Rekorde ist Arirang als größtes Massensynchronspektakel erwähnt, sonst bleibt die Show der Welt verborgen – außer man reist nach Nordkorea. Veranstaltungen gibt es im August und September vier Mal pro Woche.

Info:

Reiseroute: Wird von der Regierung vorgegeben

Einreise: Individualreisende müssen mit beträchtlichen bürokratischen Hindernissen rechnen. Ihre Visumanträge werden oft abgelehnt. Bei Gruppenreisen gibt es kaumProbleme. Info: Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Korea in Österreich, Beckmanngasse 10–2, 1140 Wien; Tel.: +43/1/894 2313

Pauschalreisen: Eastlink Travel bietet im August und September 2010 zwei Nordkorea-Reisen mit Besuch des Arirang-Festivals in Kombination mit China bzw. Südkorea. Richtpreise: 12 Tage mit China 1900 €; mit Südkorea 2400 €. Auch Individualreisen ab zwei Personen kann Eastlink Travel organisieren und die vom staatlichen Reisebüro vorgegebenen Besichtigungsprogramme leicht ändern bzw. ergänzen. Kontakt: Tel.: +43/1 7138430, http://www.eastlink.at

Währung: Für Ausländer gibt’s eigenen Wechselkurs. 1 € = 200 WON. Wechseln ist aber unnötig. In den Souvenirshops, in die man geführt wird, gibt es kaum etwas Lohnendes zu kaufen. Außerdem wird der Euro akzeptiert.

Hotels: Die Hotels werden vorgegeben. In Pjöngjang ist es meist das Yanggakdo, das durch die Lage auf einer Insel leicht zu überwachen ist, oder das Koryo in Bahnhofs-Nähe. Beide sind riesige Kästen mit westlichem Standard (Notstromversorgung, Drehrestaurant, Bars, Pool).

Essen: Meistens isst man in Hotels, selten in Restaurants. Immer aber abgeschottet vom Volk. Das Essen für Ausländer ist gut. Spezialitäten: Kimchi (Kohlblätter in scharfer Sauce) und Bulgogi (gegrilltes Fleisch). Gewürzt wird viel mit Chili und Knoblauch.

Mehr Infos: www.nordkorea-info.de

5 replies »

  1. Schön geschriebene Reportage, hat Spaß gemacht sie zu lesen!
    Haben die beiden Führer (K&K) echt von der legendären Golfrunde erzählt? Ich habe kürzlich irgendwo gelesen, dieser „Beleg“ für den obskuren nordkoreanischen Personenkult um Kim sei irgendwo in den westlichen Medien zu den ohnehin schon ausreichend abstrusen Propagandaerfindungen Nordkoreas hinzugefügt worden.

  2. Sg. Herr Dr. Jeller,
    hallo Karl-Heinz!

    Hochinteressanter Bericht, von jemandem, der es versteht das individuelle mit dem touristischen und dem politisch-kritischem Blick perfekt zu verbinden. Danke und liebe Grüße! 🙂

    Ingrid Lindorfer

  3. Bin so fasziniert von dem Land. Brasilien, China, USA interessiert mich alles nicht. Nordkorea ist etwas, das man erleben muss… zumindest stelle ich mir das so vor.

    Aber ist es nicht auch gefährlich?

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