Österreich

Mag ich den Russen?

Eine Frage, die mir als Reisejournalist jetzt oft gestellt wird. Putin und seine Ukraine-Politik verlangen nach Erklärungen. Ist er böse, der Russe? Geknechtet? Machtgierig? Verlogen? Brutal? Trinker?  Usw.

Ich muss es wissen! Als Reisejournalist, der schon x-mal dort war! Auch schon zu Zeiten der Sowjetunion!

Kann ich es wissen? Natürlich habe ich längst eine Antwort gefunden. Zumindest für mich. Mehrere sogar. Wie jeder Reisende bin auch ich beim Besuch eines Landes akribisch bestrebt, Land und Leute möglichst genau kennenzulernen. Jedes Erlebnis, jede Nuance aufzusaugen. Um Antworten zu finden auf die immer gleiche Frage aller Reisenden. Wie tickt er? – Der Inder? Der Chinese? Der Nordkoreaner? Der Schotte? Nicht nur, weil man zu Hause danach gefragt werden wird. Menschen brauchen offensichtlich Ordnung in der Denke. Wollen Komplexes herunterbrechen auf eine Meinung, eine klare Sicht. Man weiß, das ist nicht möglich und bildet sich doch ein Urteil. Erklärt sich und allen Fragenden, wie sie sind – die da draußen in den anderen Ländern.

Nun, der Russe lebt in St. Petersburg, in Moskau, Irkutsk und Wladiwostok, am Schwarzen Meer und am Eismeer. Sein Genpool ist europäisch und asiatisch. Das macht die Sache nicht leichter. Ich war fast überall in Russland. Also – wie ist er? Jede Einschätzung kann richtig sein. Aber auch total daneben.

So viel kann ich sagen: Ich kann mit den Russen. Zumindest konnte ich mit den meisten, denen ich auf meinen Reisen begegnet bin.  Allerdings: Die zwanghafte Schnelleinschätzung treffen wir Reisende mit Kriterien, die uns vertraut sind. Wir neigen dazu – oder können gar nicht anders – als positiv oder negativ zu bewerten, das auch bei uns so bewertet wird. Wie benimmt man sich höflich? Wann hat man freundlich zu sein? Was ist unanständig? Wann darf man lügen?

Wenn uns ein Peruaner auf die Frage nach dem Weg, irgendwohin in die Pampa schickt, nur nicht ans nachgefragte Ziel, tut er dies meist nicht, weil er sich einen Spaß mit uns machen oder uns anlügen will, sondern weil er es selbst nicht weiß, aber das in seiner Gesellschaft nie zugeben kann. Um Derartiges zu begreifen, muss man wohl Jahrzehnte in einem Land leben. Und selbst dann trifft es nicht auf jeden und immer zu.

Wie ist er nun endlich der Russe? Ich kann nur mit Erlebnissen antworten. Als ich im Oktober 1991 für den KURIER über die Weltraummission unseres Kosmonauten Franz Viehböck berichtete, lag der Zerfall der Sowjetunion erst ein paar Monate zurück. Die Folgen des Zusammenbruchs waren sogar an den Sowjet-Heiligtümern des kalten Krieges, den Weltraum-Zentren, spürbar. Wenig funktionierte noch. Um einen Transfer von meinem Hotel in Baikonur zur Kilometer entfernten Abschussrampe der Sojus-Rakete zu bekommen, musste ich viel Wodka trinken. Während deutsche Kollegen um Mitternacht resignierten und sich immer noch ohne Transfer-Zusage ins Bett verzogen, trank ich weiter – auf Russland, Babuschkas und Kartoffel-Brand. Um 2 Uhr morgens umarmte mich ein trinkfester, hochgradiger Militär dann wie einen alten Freund und sprach den erlösenden Satz – auf deutsch! „Du fahren morgen mit mir!“ Warm werden dauert beim Russen!

Bild JellerAls ich mit der Transsib von Moskau nach Peking fuhr und der Reiseveranstalter im Bahnhof am Baikalsee zwischen den Geleisen für die Abenteuer-Reisenden ein Büffet auf weißgedeckten Klapptischen aufbaute – Sekt, Kaviar und sonstige Leckerbissen für die gut zahlende Klientel servierte – machte sich die Dorfjugend einen Spaß mit den betuchten Westtouristen. Sie verarschten uns lautstark, in dem sie ihre Späße über die alten, auf Lichtmasten montierten, Volkslautsprecher fürs ganze Dorf hörbar verkündeten. Die großteils deutschen Touristen waren verärgert. Ich fand den Russen damals sehr sympathisch, ging in die Dorfkneipe und trank zwei Bier. Es dauerte, dann waren sie freundlich zu mir.

Noch ein Beispiel. Als ich vor ein paar Jahren in einem Tiroler Hotel saß und beobachtete, wie die neu angekommenen Ski-Gäste zum Welcome-Drink geladen wurden und der Direktor ein paar nette Worte zur Begrüßung sprach, waren auch an die 20 reiche Russen unter den Neuankömmlingen. Sie schoben Tische zusammen, die Männer qualmten – trotz Rauchverbots – dicke Havannas, Frauen und Kinder sahen sich auf ihren iPads Filme an, telefonierten und lachten laut. Der Herr Hoteldirektor bat um Ruhe und wies zaghaft auf das Rauchverbot hin, wagte es aber nicht, die sehr gute Kundschaft in Schranken zu weisen. Und der machte das Spaß. Damals war er mir nicht sympathisch der Russe, der neureiche Russe. Aber auch nicht der Hotel-Direktor – ein Österreicher.

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